Hanspeter Dähler
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... und hätte ich der Liebe nicht ...

Werke einer Sammlung

15.08.2020–19.09.2020

Do | Fr 14:00–18:30 Uhr | Sa 14:00–17:00 Uhr oder nach Vereinbarung | or by appointment

Auffahrt/Ascent, 9.5.2024: Die Galerie bleibt geschlossen / The gallery remains closed

Philippe Barde I Christyl Boger I Daphne Corregan I Gundi Dietz I Carmen Dionyse I Michael Flynn I Helen Frik I Krista Grecco I Jessica Harrison I Ewen Henderson I Marja Hooft I Audrius Janušonis I Gareth Mason I Enric Mestre I Müller -b- I Johannes Nagel I Tomoko Nishimura I Pompeo Pianezzola I Esther Shimazu I Alev Ebüzziya Siesbye I Hans Stofer I Johan Tahon I Akio Takamori I Xavier Toubes I Masamichi Yoshikawa

...und hätte ich der Liebe nicht... (deutsch)

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Werke einer Sammlung

Kuratiert von Roswitha Schild und Hanspeter Dähler

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Hanspeter Dähler, der engagierteste Förderer zeitgenössischer keramischer Kunst in der Schweiz, und ich kennen einander seit über 20 Jahren. Einen beträchtlichen Teil meiner keramischen Kunstwerke konnte ich durch ihn ankaufen. Als er mich anfragte, ob ich mir vorstellen könnte, in seiner Galerie meine über vier Jahrzehnte gesammelten Werke zeitgenössischer keramischer Kunst zu zeigen – kuratiert von uns beiden, gleich wie 2018 im Musée Ariana in Genf die Sammlungsausstellung „Come on Baby, Light my Fire“ – war ich erst einmal irritiert: Sammlung? Ich? Werden die Werke, die ich über lange Jahre angekauft hatte, weil ein coup de foudre mich dazu zwang, in einer gleichsam musealen Umgebung ihren Zauber, dem ich selbst verfallen bin, entfalten können? Zudem ist es nicht risikofrei, sich mit seiner Sammlung dem öffentlichen Diskurs auszusetzen. Reizvoll aber war das Angebot allemal, bot sich mir doch so die Gelegenheit, meinen Stücken nicht dicht gedrängt auf dem Boden oder auf Kommoden und Konsolen, umgeben von Gemälden, Büchern und eitlem Tand zu begegnen, sondern sie in einer Ausstellungssituation zu testen. Wenn zudem die Ausstellung dazu beitragen kann, die Rezeption keramischer Kunst zu unterstützen, dann hat sich der Aufwand gelohnt.

...und hätte ich der Liebe nicht...: Am Anfang kauft man Dinge, die man liebt, die einem nah am Herzen sind. Mit der Zeit löst man sich vom einzelnen Objekt, weil man anfängt zu verstehen, dass einen ein bestimmtes Thema umtreibt. Sammler wird man wahrscheinlich, wenn man anfängt, den Dingen, die man liebt, Dinge an die Seite zu stellen, die diese lieben. In einer Sammlung nehmen Kunstwerke Beziehungen untereinander auf. Sie emanzipieren sich vom Ego des Sammlers, ziehen Linien, deren die Sammlerin sich primär gar nicht bewusst sein muss, sich aber ungemein darüber freuen kann, wenn sie bemerkt, dass sich etwas zu einem Kreis schliesst, das sie für ihr Leben als massgeblich erkennt.

Es fiel mir eigentlich erst bei der Auswahl der Stücke auf, dass sich zahlreiche Werke mit der menschlichen Figur auseinandersetzen; bei meinen zweidimensionalen Arbeiten ist das deutlich weniger oft der Fall. Keramische Werke mit ihrem Volumen und ihrer lebendigen Oberfläche sind quasi prädestiniert, für das menschliche Gegenüber einen stimmigen Resonanzraum zu bilden.

Zahlreich vertreten ist die menschliche Figur im Eingangsraum des Kunstforums, der damit zu einem Laboratorium der Erforschung der Condition humaine wird. Hier sind einige meiner Lieblingsstücke versammelt. Fixsterne sind von Carmen Dionyse „Demeter und Persephone“, mit denen ich erstmals 1984 am Concorso Internationale della Ceramica d’Arte in Faenza eine Schockbegegnung hatte, und die ich schliesslich ein Jahr später nach langer Odyssee in Gent bei der Künstlerin abholen durfte. Dieser frühen Erwerbung steht eine meiner jüngeren gegenüber: „Miles“ von Johan Tahon. Unser erstes Rendez-vous hatten wir 2018 anlässlich der Ausstellung „Wir überleben das Licht“ von Johan Tahon mit Till Lindemann im Bonnefantenmuseum in Maastricht. Bezüglich Expressivität, Spiritualität und technischer Meisterschaft durchaus mit den Werken seiner Landsfrau Carmen Dionyse vergleichbar, spielt bei „Miles“ die dem Ton innewohnende Bedeutung als ursprünglicher Begleiter der Menschwerdung eine weniger prägnante Rolle als bei der Mutter-Tochter-Gruppe der Göttin der Fruchtbarkeit und der Göttin der Unterwelt. Ganz anders wieder ist die Verwendung des Werkstoffes bei Gundi Dietz oder Akio Takamori. Während bei Takamori die Form einfach gehalten wird, dafür der Bemalung eine beseelende Rolle zukommt, schöpft Gundi Dietz mit ihrer stupenden Beherrschung der Porzellanbearbeitung alle Möglichkeiten sprechender Formen aus. Beiden gelingen ausserordentlich berührende, individuell geprägte Menschenbilder.

Überleitend zum hinteren Parterreraum begegnet einem „Liegendes“ von Müller -b-. Hier haben sich die verschiedenen Tonarten quasi verselbständigt, globalisiertes Massenporzellan ficht einen Abnützungskampf mit heimischer Tonerde, stoisch beäugt von Helen Friks „Abstract 60’s Product (Slightly Figurative)“ – einem ironischen Kommentar zu einer verbreiteten Haltung, dass abstrakte Kunst der figurativen geistig überlegen sei. Prägend im folgenden Raum wirkt Johan Tahons monumentaler „Waterfall“, den dieser unter dem Eindruck der Mutterschaft seiner Frau Eva geschaffen hatte. Anspielungen auf die Natur, resp. eine Art Vermenschlichung von Naturphänomenen sind auch bei Audrius Janušonis zu beobachten, hier insbesondere bei der hingegossenen, hinreissenden Landschaftsfigur „evening. square sunset down“.

Die Treppe zum ersten Stock führt direkt vor Akio Takamoris „Willy B“ im schuldbewussten Kniefall. Nach einem kurzen Adrenalinstoss – vermittelt durch die minimalistische Arbeit „simuliert“ von Müller -b- sowie durch Lex Vögtlis Acrylbild „Nelken“, welches furios das Thema des Malens oder Kunstschaffens an sich thematisiert – folgt der Besuch des Raums, welcher von Lebenslust und Sinnlichkeit sprüht. Da wird gelacht und getanzt und gespielt und seinen Leidenschaften gefrönt – unter dem Vorsitz von Gundi Dietz’ „Goldener Mathilde“. Im schmalen Raum daneben wird das intuitiv verstehende Sehen herausgefordert: es geht um Metamorphosen. Auf einem langgestreckten Tisch sind ausgewählte Arbeiten zum Umgang verschiedener Künstlerinnen und Künstler mit dem keramischen Urthema „Gefäss“, seiner Dekonstruktion und Verwandlung präsentiert. Das geht von Alev Ebüzziya Siesbyes in verfeinerter Ästhetik gestalteter Schale über Ewen Hendersons archaisch anmutender „Vogelschädelschale“ und Johannes Nagels denaturiertem Blumenstrauss in Vase bis zu Philippe Bardes feinstwandiger „tous pareils, tous différents“ – einer Aufforderung, genau hinzusehen, zu vergleichen, sich über subtile Unterschiede zu freuen.

Im letzten Raum geht es um Volumen, Raum, Struktur. Enric Mestres archetypische rudimentäre Architektur steht in Dialog mit Nanni Valentinis archaischen Balkenschale, während Daphne Corregans „Cloud“ und „Scribble“ das Voluminöse und gleichzeitig Schwebende von Gundi Dietz’ „Ballonfrau“ aufnehmen. Als Augenzwinkerer schmuggelten wir „Toni im Koma“ von Lutz & Guggisberg hinein, den erschöpften Museumstechniker. So fühlten wir uns manchmal an heissen Augusttagen bei der aufwendigen Evaluierung der stimmigen Platzierungen.

...und hätte ich der Liebe nicht...: meine Opfergaben an Raum und Zeit und Geld wären sinnlos, wenn ich nicht ein konkretes Ziel verfolgen würde, nämlich in täglicher liebevoller Zuwendung mein Verständnis dafür zu schärfen, was Kunst will und soll und kann, und mit welchen Mitteln sie das vollbringt. Diese Liebe zur zeitgenössischen keramischen Kunst zu verbreiten, ist Hanspeter Dähler und mir eine Herzensangelegenheit.

Roswitha Schild

...und hätte ich der Liebe nicht... (english)

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… yet had I not love ...

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Artworks from a collection

Curated by Roswitha Schild and Hanspeter Dähler

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Hanspeter Dähler, the most committed promoter of contemporary ceramic art in Switzerland, and I have now known each other for more than twenty years. It was through him that I was able to acquire a substantial part of my ceramics collection. When he asked me whether I could imagine exhibiting my collection of contemporary ceramic art, which I have been collecting over a period of more than four decades, in his gallery and curating it together with him—just as we had for the collection exhibition ‘Come on Baby, Light my Fire‘ in 2018 in the Musée Ariana in Geneva — I was at first somewhat taken aback: Collection? Me? Will the artworks that I have purchased as a result of a coup de foudre unfold that same magic to which I had succumbed within what amounts to an almost museum-like environment? Moreover, it is not without risk to submit oneself to a public discourse through one’s collection. The offer was, however, tempting as it gave me an opportunity to, for once, not encounter my pieces crowded together on the floor or on commodes and brackets, surrounded by paintings, books and mere bric-a-brac, but to see them validated within the framework of an exhibition. And if the exhibition can, in addition, contribute to a wider recognition of ceramic art, then the effort will have been worth it.

… yet had I not love …: Initially one buys things that one loves, that are close to one’s heart. With the passage of time one disengages from the individual object because one begins to understand that there is a particular overriding theme that is on one’s mind. It is likely that one becomes a collector the moment one begins to place new acquisitions next to those one has long loved that will then, in turn, love them. In a collection, objects build relationships amongst each other. They emancipate themselves from the ego of the collector, make connections of which the collector need not primarily even be aware of, but which she can find extremely pleasing when she realizes that something has evolved that has a deeper significance for her own life.

It was only in the process of selecting the pieces for the exhibition that I noticed that numerous works relate to the human figure; this is rarely the case in my two-dimensional pieces. Ceramic works, with their volume and their vivid surfaces, are quasi predestined to form a consonant, resonating body for the human vis-à-vis.

In this instance the human figure is represented in large numbers in the entrance space of the Kunstforum, turning it into a laboratory for the study of the human condition. Some of my favourite pieces are gathered here. The leading lights are by Carmen Dionyse: ‘Demeter and Persephone’, with whom I had an overpowering encounter in 1984 at the Concorso Internationale della Ceramica d’Arte in Faenza, and which I could then finally, after long odyssey, fetch in person from the artist in Ghent - one year later. This early acquisition is placed opposite one of my more recent ones: ‘Miles’ by Johan Tahon. We had our first rendez-vous in 2018 on the occasion of the exhibition ‘Wir überleben das Licht’ (We Survive the Light) by Johan Tahon with Till Lindemann in the Bonnefantenmuseum in Maastricht. With regard to expressivity, spirituality and technical mastery his works are in every way comparable to those of his compatriot Carmen Dionyse. In ‘Miles’, however, the inherent meaning of clay as humankind’s ur-material plays less of a role than in the mother-daughter group of the goddess of fertility and the goddess of the underworld. Of a different nature altogether is the use of the material where both Gundi Dietz and Akio Takamori are concerned. While for Takamori the form is kept very simple and it is the role of painting to animate, Gundi Dietz, with her tremendous skill in porcelain workmanship, makes use of all the possibilities of forms that speak. Both artists succeed in creating exceptionally emotive, individually defined human images.

As a transition to the ground-level space at the back of the gallery one finds ‘Liegendes’ (transl.: the recumbent) by Müller -b-. Here the different types of clay have made themselves quasi autonomous; globalised mass-produced porcelain is locked in a battle of attrition with local clay, stoically observed by Helen Frik’s ‘Abstract 60’s Product (Slightly Figurative)’ – an ironic comment on a widely held view that abstract art is somehow intellectually superior to figurative art. Very impressive in the next room is Johan Tahon’s monumental ‘Waterfall’, which he created as a reflection on his wife Eva’s maternity. References to nature, respectively a kind of anthropomorphizing of natural phenomena can also to be observed in the works of Audrius Janušonis and here in particular in the sprawling, delightful landscape figure ‘evening. square sunset down’.

The stairs to the first floor lead one to directly in front of Akio Takamori’s ‘Willy B’, who we find guilt-ridden on his knees. A brief adrenaline rush – imparted by the minimalist work ‘simuliert’ (Simulated) by Müller -b- as well as by Lex Vögtli’s acrylic painting ‘Nelken’ (Carnations) which passionately addresses the topic of painting or art creation itself – comes with a visit to the room which radiates a lust for life and sensuality. Here there is laughter and dancing, and one plays and indulges one’s passions – under the aegis of Gundi Dietz’s ‘Goldene Mathilde’. In the narrow room next door, the act of seeing as intuitive perception is challenged: it is about metamorphoses. On an elongated table selected works are presented that show how different artists interpret the ceramic ur-topic ‘container’, its deconstruction and transformation. This includes Alev Ebüzziya Siesbye’s bowl, designed in a rarefied aesthetic, Ewen Henderson’s archaic seeming ‘Bird-Skull Bowl’, Johannes Nagel’s denatured flower bouquet in a vase, and Philippe Barde’s ultra-thin-walled ‘tous pareils, tous différents’ (all is the same, all is different) – a request to take a closer look, to compare, to enjoy the subtle differences.

In the last room it is all about volume, space, and structure. Enric Mestre’s archetypical, rudimentary architecture is in a dialog with Pompeo Pianezzola’s archaic timber bowl, while Daphne Corregan’s ‘Cloud’ and ‘Scribble’ picks up on aspects that relate to Gundi Dietz’s ‘Ballonfrau’ (Balloonwoman) such as ‘voluminous’ and ‘floating’. And then, rather tongue in cheek, we smuggled in ‘Toni im Koma’ (Comatose Toni) the exhausted museum technician by Lutz&Guggisberg. This is how we sometimes felt during the hot August days while we were carrying out the laborious evaluations towards the ideal placement of the artworks.

… yet had I not love ...: my sacrificial offering of space and time and money would be senseless if I did not follow a specific aim, namely, in my daily, impassioned readiness to sharpen my understanding for what art intends and should and can, and the means with which it achieves this. To communicate this love for contemporary ceramic art is the heartfelt wish of both Hanspeter Dähler and myself.

Roswitha Schild